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Das Kolonialsystem des Imperialismus

1. Die Rolle der Kolonien in der Periode des Imperialismus.
2. Die Kolonien und abhängigen Länder als Agrar- und Rohstoffanhängsel der Metropolen.
3. Die Methoden der kolonialen Ausbeutung der werktätigen Massen.
4. Der nationale Befreiungskampf der Kolonialvölker.
5. Kurze Zusammenfassung

1. Die Rolle der Kolonien in der Periode des Imperialismus.

Koloniale Eroberung und Streben nach Errichtung großer Weltreiche durch Unterwerfung schwächerer Länder und Völker hat es sowohl vor der Epoche des Imperialismus, als auch vor der Entstehung des Kapitalismus gegeben. Jedoch kommt den Kolonien in der Periode des Imperialismus, wie Lenin zeigte, eine wesentlich andere Rolle und Bedeutung zu als in den vorkapitalistischen Epochen – sowie in der Periode des vormonopolistischen Kapitalismus. Zu den „alten“ Methoden der Kolonialpolitik tritt der Kampf der Monopolisten um Rohstoffquellen, Kapitalexport, Einflusssphären sowie um Wirtschaftsgebiete und militärische Stützpunkte.

Wie bereits dargelegt, bildet die Versklavung und systematische Ausplünderung der Völker anderer Länder, besonders der zurückgebliebenen Länder, und die Umwandlung einer Reihe unabhängiger Länder in abhängige Länder einen der Hauptzüge des ökonomischen Grundgesetzes des modernen Kapitalismus. Der Kapitalismus hat im Verlauf seiner Ausbreitung über die ganze Welt die Tendenz zur wirtschaftlichen Annäherung der einzelnen Länder, zur Beseitigung der nationalen Abgeschlossenheit und zur allmählichen Vereinigung riesiger Gebiete zu einem zusammenhängenden Ganzen hervorgebracht. Die Methode, mittels derer der monopolistische Kapitalismus allmählich riesige Gebiete wirtschaftlich vereinigt, ist die Versklavung der Kolonien und abhängigen Länder durch die imperialistischen Mächte. Diese Vereinigung erfolgte bis 1945 durch Schaffung von Kolonialreichen, die sich auf grausame Unterdrückung und Ausbeutung der kolonialen und abhängigen Länder durch die Metropolen gründen.

In der Periode des Imperialismus wird die Bildung des kapitalistischen Systems der Weltwirtschaft vollendet, das auf Abhängigkeit, auf Herrschaft und Unterordnung beruht. Durch verstärkten Kapitalexport, Erweiterung der „Einflusssphären“ und koloniale Eroberungen unterwarfen sich die imperialistischen Länder die Völker der Kolonien und abhängigen Länder.

„Der Kapitalismus ist zu einem Weltsystem kolonialer Unterdrückung und finanzieller Erdrosselung der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung der Erde durch eine Handvoll ‚fortgeschrittener’ Länder geworden.“[100] Auf diese Weise wurden die einzelnen nationalen Wirtschaften zu Gliedern einer einheitlichen Kette, genannt Weltwirtschaft. Zugleich spaltete sich die Bevölkerung des Erdballs in zwei Lager: in eine kleine Gruppe imperialistischer Länder, die die kolonialen und abhängigen Länder ausbeuten und unterdrücken, und in die große Mehrheit der kolonialen und abhängigen Länder, deren Völker für die Befreiung vom Joch des Imperialismus kämpfen.

Im monopolistischen Stadium des Kapitalismus bildete sich das Kolonialsystem des Imperialismus heraus. Das Kolonialsystem des Imperialismus ist die Gesamtheit der Kolonien und abhängigen Länder, die von den imperialistischen Staaten unterdrückt und versklavt werden.

Kolonialraub und koloniale Eroberungen, imperialistische Willkür und Gewalt, Kolonialsklaverei, nationale Unterdrückung und Rechtlosigkeit und schließlich der Kampf der imperialistischen Mächte gegeneinander um die Herrschaft über die Völker der kolonialen Länder – das sind die Formen, in denen sich der Prozess der Schaffung des Kolonialsystems des Imperialismus vollzog.

Die imperialistischen Staaten sind bestrebt, durch Eroberung und Ausplünderung von Kolonien und abhängigen Ländern die wachsenden Widersprüche innerhalb ihrer Länder zu überwinden. Die aus den Kolonien und abhängigen Ländern herausgepressten hohen Profite machen es der Bourgeoisie möglich, eine Oberschicht von dienstwilligen qualifizierten Arbeitern materiell besser zu stellen und damit zu bestechen. Diese korrumpierte Schicht hat ihren Frieden mit den kapitalistischen Verhältnissen gemacht und sucht stets, im Interesse der Bourgeoisie die Arbeiterbewegung zu zersetzen. Zugleich bewirkt die Ausbeutung der Kolonien und abhängigen Länder eine Verschärfung der Widersprüche des kapitalistischen Systems als Ganzes.

2. Die Kolonien und abhängigen Länder als Agrar- und Rohstoffanhängsel der Metropolen.

In der Epoche des Imperialismus sind die Kolonien und abhängigen Länder vor allem die sicherste und günstigste Kapitalanlagesphäre, denn dort besitzt die Finanzoligarchie der imperialistischen Länder das uneingeschränkte Monopol der Kapitalanlage und erzielt dadurch besonders hohe Profite.

Wenn das Finanzkapital in die zurückgebliebenen Länder eindringt, zersetzt es die vorkapitalistischen Wirtschaftsformen - das Kleinhandwerk, die halbnaturale kleinbäuerliche Wirtschaft - und führt zur Entwicklung kapitalistischer Verhältnisse. Um die kolonialen und abhängigen Länder auszubeuten, errichteten die Imperialisten dort Eisenbahnen und Betriebe der extraktiven Industrie. Zugleich aber hemmte und hemmt das Wirtschaften der Imperialisten in den Kolonien und abhängigen Ländern das Wachstum der Produktivkräfte und beraubt diese Länder der Voraussetzungen für eine selbständige wirtschaftliche Entwicklung. Die Imperialisten sind an der wirtschaftlichen Rückständigkeit dieser Länder interessiert, da die Rückständigkeit es erleichtert, die Herrschaft über die abhängigen Länder aufrechtzuerhalten und deren Ausbeutung zu verstärken.

Selbst dort, wo sich die Industrie verhältnismäßig mehr entwickelt hat, z.B. in einigen Ländern Lateinamerikas, werden nur der Bergbau und einige Zweige der Leichtindustrie entwickelt: Baumwollindustrie, Lederindustrie, Lebensmittelindustrie. Die Schwerindustrie als Grundlage der wirtschaftlichen Selbständigkeit eines Landes ist überaus schwach entwickelt: der Maschinenbau fehlt fast völlig. Die herrschenden Monopole ergreifen besondere Maßnahmen, um die Schaffung einer Industrie für Produktionsinstrumente zu verhindern: sie verweigern den Kolonien und abhängigen Ländern entsprechende Kredite und verkaufen ihnen nicht die erforderlichen Ausrüstungen und Patente. Die koloniale Abhängigkeit der zurückgebliebenen Länder hemmt ihre Industrialisierung.

Im Jahre 1920 betrug der Anteil Chinas an der Kohleförderung der Welt 1,7% an der Roheisenerzeugung 0,8% und an der Kupfererzeugung nur 0,03%. In Indien belief sich die Stahlproduktion, pro Kopf der Bevölkerung gerechnet, am Vorabend des zweiten Weltkrieges (1938) auf 2,7 kg im Jahr gegenüber 222 kg in Großbritannien. Ganz Afrika verfügte im Jahre 1946 nur über 1,5% des Brennstoffs und der Elektroenergie die in der kapitalistischen Welt erzeugt wurden. Selbst die Textilindustrie ist in den kolonialen und abhängigen Ländern nur schwach entwickelt und zurückgeblieben. In Indien gab es im Jahre 1947 etwa 10 Millionen Spindeln gegenüber 34,5 Millionen Spindeln in England, dessen Bevölkerung nur ein Achtel der Bevölkerung Indiens beträgt; in Lateinamerika gab es im Jahre 1945 4,4 Millionen Spindeln gegenüber 23,1 Millionen Spindeln in den USA.

Die der Voraussetzungen für eine selbständige industrielle Entwicklung beraubten Kolonien und abhängige Länder bleiben Agrarländer. Die Existenzgrundlage der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung dieser Länder ist die Landwirtschaft, die durch halbfeudale Verhältnisse gefesselt ist. Stagnation und Verfall der Landwirtschaft halten das Wachstum des inneren Marktes auf.

Die in den Kolonien und abhängigen Ländern herrschenden Monopole sorgen dafür, dass sich dort nur die Produktionszweige entwickeln, die für sie günstig sind, so z.B. die Lieferung von Rohstoffen und Lebensmitteln an die Metropolen sichern. Dazu gehört die Förderung bestimmter Bodenschätze, der Anbau landwirtschaftlicher Kulturen für den Markt und deren Erstbearbeitung. Infolgedessen erhält die Wirtschaft der Kolonien und abhängigen Ländern äußerst einseitigen Charakter. Der Imperialismus macht die versklavten Länder zu Agrar- und Rohstoffanhängseln der Metropolen.

Die Wirtschaft vieler kolonialer und abhängiger Länder ist auf die Produktion von ein oder zwei Produkten spezialisiert, die restlos ausgeführt werden. So war nach dem zweiten Weltkrieg Erdöl mit 97% am Export Venezuelas beteiligt, Zinnerz mit 70% am Export Boliviens, Kaffee mit rund 58% am Export Brasiliens, Zucker mit mehr als 80% am Export Kubas, Kautschuk und Zinn mit mehr als 70% am Export Malayas, Kautschuk und Tee mit 80% am Export Ceylons (Sri Lanka), Baumwolle mit rund 80% am Export Ägyptens, Kaffee und Baumwolle mit 60% am Export Kenias und Ugandas, Kupfer mit rund 85% am Export Nordrhodesiens, Kakao mit rund 50% am Export der Goldküste (Afrika). Die einseitige Entwicklung der Landwirtschaft (die so genannte Monokultur) liefert ganze Länder der Willkür der als Rohstoffaufkäufer auftretenden Monopolisten aus. Die einseitige Entwicklung setzt sich bis heute fort. In Ländern wie Indien und Südkorea z.B. bestehen heute High-Tech-Zentren der IT- oder Autoindustrie, die Produkte für den Weltmarkt liefern. Zugleich existieren neben jenen Zentren völlig ruinierte Gebiete, besonders im ländlichen Raum.

Mit der Verwandlung der Kolonien in Agrar- und Rohstoffanhängsel der Metropolen wächst die Bedeutung der Kolonien als Quellen billiger Rohstoffe für die imperialistischen Staaten ganz außerordentlich. Je höher der Kapitalismus entwickelt ist, je stärker der Mangel an Rohstoffen ist, desto schärfer wird die Konkurrenz und desto hartnäckiger die Jagd nach den Rohstoffquellen in der ganzen Welt, desto erbitterter wird der Kampf um den Erwerb von Kolonien bzw. Einflusssphären. Im monopolistischen Kapitalismus kann sich kein Monopol als versorgt betrachten, wenn es nicht ständige Rohstoffquellen besitzt. Aus den Kolonien und abhängigen Ländern erhalten die Monopole die benötigten riesigen Rohstoffmengen zu niedrigen Preisen. Der Monopolbesitz von Rohstoffquellen bietet entscheidende Vorteile im Konkurrenzkampf. Die Eroberung von Quellen billiger Rohstoffe erlaubt den Industriemonopolen, auf dem Weltmarkt Monopolpreise zu diktieren und die Erzeugnisse zu überhöhten Preisen zu verkaufen.

Gegenstand erbitterten Kampfes sind die Quellen der verschiedenen strategischen Rohstoffe, die zur Kriegführung benötigt werden: Erdöl, Kohle, Eisenerz, Buntmetalle, Baumwolle usw. Heute kämpfen die imperialistischen Mächte um den Monopolbesitz der reichen Erdölvorkommen. Die Verteilung der Erdölreserven der Welt berührt nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die politischen Interessen und gegenseitigen Beziehungen der imperialistischen Mächte.

In der Epoche des Imperialismus nimmt die Bedeutung der Kolonien als Absatzmärkte für die Metropolen zu. Unablässig verstärkt sich die Nicht-Äquivalenz des Austausches zwischen den imperialistischen Mächten und den abhängigen Ländern. Die Monopole, die mit den Kolonien Handel treiben (Aufkauf von Rohstoffen und Absatz von Industriewaren), streichen enormen Profit ein. Sie sind die wahren Herren ganzer Länder und gebieten mittels ihrer ökonomischen Macht über Leben und Habe vieler Millionen von Menschen.

Die Kolonien und abhängigen Länder sind eine Quelle überaus billiger Arbeitskräfte. Die ungeheuerliche Ausbeutung der Arbeitermassen sichert den in Kolonien und abhängigen Ländern angelegten Kapitalien besonders hohe Profite. Außerdem werden Hunderttausende von Arbeitern aus diesen Ländern in die Metropolen gebracht, wo sie besonders schwere Arbeiten für einen Hungerlohn ausführen müssen.

Da die Welt bereits aufgeteilt ist und ein bewaffneter Kampf um ihre Neuaufteilung vorbereitet bzw. geführt wird, suchen die imperialistischen Mächte aus strategischen Erwägungen, solche Gebiete in ihren Besitz zu bekommen – unabhängig von deren wirtschaftlicher Bedeutung – die irgendeinen Wert als Stützpunkte, als Kriegsflotten- oder Luftwaffenbasen haben oder haben können.

Die Kolonien liefern den Metropolen Kanonenfutter. Im ersten Weltkrieg kämpften fast anderthalb Millionen Schwarzafrikaner auf der Seite Frankreichs. Während des Krieges wälzen die Metropolen einen erheblichen Teil ihrer finanziellen Lasten auf die Kolonien und abhängigen Länder ab. Dort wird ein großer Teil der Kriegsanleihen realisiert; England machte während des ersten und des zweiten Weltkriegs ausgiebig von den Valutareserven seiner Kolonien Gebrauch.

Die räuberische Ausbeutung der kolonialen und abhängigen Länder durch den Imperialismus verschärft den unversöhnlichen Widerspruch zwischen den dringenden Bedürfnissen der Wirtschaft dieser Länder und den eigennützigen Interessen der Metropolen.

3. Die Methoden der kolonialen Ausbeutung der werktätigen Massen.

Das Kennzeichen der kolonialen Ausbeutungsmethoden, die dem Finanzkapital der Metropolen hohe Monopolprofite sichern, ist die Verflechtung der imperialistischen Ausplünderung mit feudalen Formen der Ausbeutung der Werktätigen. Während sich einerseits die Warenproduktion entwickelt und die Geldbeziehungen sich ausbreiten, die große Masse der einheimischen Bevölkerung des Bodens beraubt und die kleine Handwerksproduktion vernichtet wird, werden die breiten Massen in Unbildung gehalten, feudale Abhängigkeiten konserviert und religiöser Fanatismus kultiviert. Neben ökonomischen Zwängen bleibt also außerökonomische Gewalt ein permanentes Mittel der Ausbeutung.

Die herrschenden Klassen in den Kolonien und abhängigen Ländern sind die feudalen Gutsbesitzer sowie die Kapitalisten in der Stadt und auf dem flachen Land (Großbauern). Die Klasse der Kapitalisten scheidet sich in die Kompradoren-Bourgeoisie und die nationale Bourgeoisie. Kompradoren sind die einheimischen Vermittler zwischen den ausländischen Monopolen und dem kolonialen Absatz- und Rohstoffmarkt. Die feudalen Gutsbesitzer und die Kompradoren-Bourgeoisie sind Vasallen des ausländischen Finanzkapitals, sind eine direkte käufliche Agentur des internationalen Imperialismus, der die Kolonien und abhängigen Länder knechtet. Mit der Entwicklung einer eigenen Industrie in den Kolonien wächst eine nationale Bourgeoisie heran, die sich in einer zwiespältigen Lage befindet: einerseits versperrt ihr das Joch des ausländischen Imperialismus und der feudalen Überreste den Weg zur ökonomischen und politischen Herrschaft, anderseits aber beutet sie gemeinsam mit den ausländischen Monopolen die Arbeiterklasse und die Bauernschaft aus. In den größten kolonialen und abhängigen Ländern gibt es von den ausländischen Monopolen abhängige monopolistische Vereinigungen der einheimischen Bourgeoisie. Da der nationale Befreiungskampf dem Sturz der Herrschaft des Imperialismus, der Erringung der nationalen Selbständigkeit des Landes und der Beseitigung der die Entwicklung des Kapitalismus hemmenden feudalen Überreste gilt, nimmt die nationale Bourgeoisie in einer bestimmten Etappe an diesem Kampf teil und spielt eine progressive Rolle.

Die Arbeiterklasse wächst in den Kolonien und abhängigen Ländern in dem Maße, wie sich die Industrie entwickelt und die kapitalistischen Verhältnisse sich ausbreiten. Ihr führender Teil ist das industrielle Proletariat. Eine zahlreiche Schicht des Proletariats bilden die Landarbeiter oder Tagelöhner, die Arbeiter der kapitalistischen Manufakturen und der Kleinbetriebe sowie die unqualifizierten Arbeiter in der Stadt, die jede nur mögliche manuelle Arbeit verrichten.

Die Hauptmasse der Bevölkerung in den Kolonien und abhängigen Ländern bildet die Bauernschaft, wobei in den meisten dieser Länder die Landbevölkerung größtenteils aus armen Bauern und Mittelbauern besteht, d.h. aus solchen Bauern, die entweder überhaupt kein Land oder nur ein kleines Stück Boden besitzen. Die kleinen Händler und Handwerker bilden die zahlreiche Schicht der städtischen Kleinbourgeoisie.

Die Konzentration des Grundeigentums in den Händen der Gutsbesitzer und der Wucherer wird dadurch ergänzt, dass sich die Kolonialherren riesiger Grundbesitzungen bemächtigen. In einer Reihe von Kolonien schuf der Imperialismus die Plantagenwirtschaft.

Einen großen Teil des kärglichen Produkts der Arbeit des Bauern und seiner Familie eignen sich die Ausbeuter an: die Gutsbesitzer, Wucherer, Aufkäufer, Steuereinnehmer usw. Sie bemächtigen sich nicht nur der Mehrarbeit, sondern auch eines bedeutenden Teils der notwendigen Arbeit des Bauern. Das dem Bauern verbleibende Einkommen reicht häufig nicht einmal für ein Hungerdasein aus. Viele Bauernwirtschaften werden ruiniert; ihre früheren Besitzer füllen die Armee der Tagelöhner auf. Die agrarische Übervölkerung erreicht riesige Ausmaße.

Der vom Gutsbesitzer und Wucherer in Schuldknechtschaft gehaltene Bauer vermag nur auf primitivste technische Hilfsmittel zurückzugreifen, die Jahrhunderte und stellenweise gar Jahrtausende hindurch im wesentlichen unverändert geblieben sind. Die Anwendung dieser primitiven Technik der Bodenbewirtschaftung führt dazu, dass der Boden aufs äußerste erschöpft wird. In vielen Gebieten zwingt die Not die Bauern zu Anbau von Drogen an Stelle von Lebensmitteln. Daher sind viele Kolonien, die Agrarländer geblieben sind, nicht in der Lage, ihre Bevölkerung zu ernähren, und müssen Lebensmittel einführen. Die Landwirtschaft der durch den Imperialismus versklavten Länder ist zu Verfall und Degradation verurteilt.

In diesen Ländern wird nur ein Teil der gesamten für den Anbau geeigneten Bodenfläche produktiv genutzt, obwohl eine riesige agrarische Übervölkerung vorhanden ist und Landnot besteht. In großen Gebieten, die früher einmal als die fruchtbarsten Gebiete der Welt galten, ist die Ertragsfähigkeit außerordentlich niedrig und verringert sich ständig. Die extensive Wirtschaftsweise führt zu irreversiblen Umweltschäden.

Die koloniale Unterdrückung verdammt die Arbeiterklasse zu politischer Rechtlosigkeit und bestialischer Ausbeutung. Da die Arbeitskräfte so billig sind, haben die Industriebetriebe und Plantagen ein überaus niedriges technisches Niveau.

Durch äußerste wirtschaftliche Rückständigkeit in Verbindung mit einem hohen Grad der Ausbeutung (übermäßig langer Arbeitstag, ungenügender Arbeitsschutz, fehlende soziale Sicherung; Kinderarbeit) sind die Kolonialvölker zu Hunger und Elend verurteilt. Die Ausbeutung der Kolonien und die Behinderung der Entwicklung ihrer Produktivkräfte hat zur Folge, dass das Nationaleinkommen pro Kopf der Bevölkerung nur den zehnten bis fünfzehnten Teil dessen beträgt, was in den Metropolen auf den einzelnen entfällt. Der Lebensstandard der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung ist äußerst niedrig. Die Sterblichkeit ist überaus hoch: Hungersnöte und Epidemien lassen die Bevölkerung ganzer Gebiete aussterben.

4. Der nationale Befreiungskampf der Kolonialvölker.

Vor der Epoche des Imperialismus beschränkte sich die nationale Frage auf einige wenige, hauptsächlich europäische Nationen (Iren, Ungarn, Polen, Finnen, Serben und andere) und griff nicht über den Rahmen einzelner Nationalitätenstaaten hinaus. In der Epoche des Imperialismus, da das Finanzkapital der Metropolen die Völker der kolonialen und abhängigen Länder versklavt hat, hat sich der Rahmen der nationalen Frage erweitert, verschmolz sie schon allein durch den Lauf der Dinge mit der allgemeinen Frage der Kolonien. „Dadurch wurde die nationale Frage aus einer Einzelfrage und innerstaatlichen Frage zu einer allgemeinen und internationalen, zur Weltfrage der Befreiung der unterdrückten Völker der abhängigen Länder und der Kolonien vom Joche des Imperialismus.“[101]

Der einzige Weg zur Befreiung dieser Völker vom Joch der Ausbeutung ist ihr revolutionärer Kampf gegen den Imperialismus. Die ganze kapitalistische Epoche hindurch kämpften die Völker der kolonialen Länder gegen die fremdländischen Unterdrücker und erhoben sich häufig zu Aufständen, die von den Kolonialherren grausam unterdrückt wurden. In der Periode des Imperialismus nimmt der Befreiungskampf der kolonialen und abhängigen Länder ein bis dahin nicht gekanntes Ausmaß an.

Bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts, besonders nach der ersten russischen Revolution im Jahre 1905, erwachten die werktätigen Massen der kolonialen und abhängigen Länder zum politischen Leben. Eine revolutionäre Bewegung entstand in China, Korea, Persien, der Türkei.

Die Länder der kolonialen Welt unterscheiden sich voneinander durch den Stand ihrer ökonomischen Entwicklung und durch die Stufe der Formierung des Proletariats. Man muss mindestens drei Kategorien kolonialer und abhängiger Länder unterscheiden: 1. Länder, die industriell noch völlig unentwickelt sind und kein oder fast kein eigenes Proletariat haben; 2. Länder, die industriell wenig entwickelt sind und ein verhältnismäßig wenig zahlreiches Proletariat haben, und 3. Länder, die mehr oder weniger kapitalistisch entwickelt sind und ein mehr oder minder zahlreiches Proletariat haben. Das bedingt die Besonderheiten der nationalen Befreiungsbewegung in den kolonialen und abhängigen Ländern.

Da in den kolonialen und abhängigen Ländern die Bauernschaft die Mehrheit der Bevölkerung bildet, ist die nationale und koloniale Frage dem Wesen nach eine Bauernfrage. Das allgemeine Ziel der nationalen Befreiungsbewegung in den Kolonien und abhängigen Ländern ist die Befreiung von der Herrschaft des Imperialismus und die Beseitigung aller feudalen Überreste. Infolgedessen trägt jede nationale Befreiungsbewegung in den Kolonien und abhängigen Ländern gegen den Imperialismus und die feudale Unterdrückung progressiven Charakter, selbst wenn in diesen Ländern das Proletariat verhältnismäßig schwach entwickelt ist.

Die nationale Befreiungsbewegung in den Kolonien und abhängigen Ländern, an deren Spitze das Proletariat als der berufene Führer der breiten Massen der Bauernschaft und aller Werktätigen steht, bezieht die von der Finanzoligarchie einiger großer kapitalistischer Mächte unterdrückte gewaltige Mehrheit der Bevölkerung des Erdballs in den Kampf gegen den Imperialismus ein. Die Interessen der proletarischen Bewegung in den kapitalistisch entwickelten Ländern und die der nationalen Befreiungsbewegung in den Kolonien erfordern die Vereinigung dieser beiden Formen der revolutionären Bewegung zu einer gemeinsamen Kampffront gegen den gemeinsamen Feind, gegen den Imperialismus. Der proletarische Internationalismus geht davon aus, dass kein Volk frei sein kann, das andere Völker unterdrückt. Dabei ist, wie der Leninismus lehrt, das Verfechten, die Verteidigung und die Verwirklichung der Losung vom Recht der Nationen auf Lostrennung und auf selbständige staatliche Existenz eine wirksame Unterstützung der Befreiungsbewegung der unterdrückten Völker durch das Proletariat der herrschenden Nationen.

Nach dem zweiten Weltkrieg bis Mitte der 1960er Jahre errangen die meisten ehemaligen Kolonien die nationale Unabhängigkeit. Weil die Befreiungsbewegungen aber nicht bis zur sozialistischen Revolution vorangetrieben wurden, entstanden im Verhältnis zu den entwickelten imperialistischen Staaten schwache kapitalistische Volkswirtschaften, die binnen Kurzem in ein Geflecht ökonomischer Abhängigkeiten von den führenden imperialistischen Staaten, allem voran den USA, gerieten. Diese Länder sind nach wie vor abhängig und bilden Einflusssphären der wichtigsten Industrienationen: der USA, Europas und Japans.

Der nationale Befreiungskampf ist noch nicht beendet. Das Anwachsen des Kampfs der unterdrückten Völker der Kolonien und abhängigen Länder erschüttert die Grundpfeiler des Imperialismus und bereitet seinen Untergang vor. Die kolonialen und abhängigen Länder verwandeln sich aus einer Reserve der imperialistischen Bourgeoisie in eine Reserve, in Verbündete des revolutionären Proletariats. „...die sozialistische Revolution (wird) nicht nur und nicht hauptsächlich ein Kampf der revolutionären Proletarier eines jeden Landes gegen die eigene Bourgeoisie sein, nein, sie wird ein Kampf aller vom Imperialismus unterdrückten Kolonien und Länder, aller abhängigen Länder gegen den internationalen Imperialismus sein.“[102]

5. Kurze Zusammenfassung

1. Die zügellose Ausbeutung der Kolonien und abhängigen Länder ist eine der wichtigsten Existenzbedingungen des modernen Kapitalismus. Die Maximalprofite der Monopole sind untrennbar mit der Ausbeutung der Kolonien und abhängigen Länder als Absatzmärkte, Rohstoffquellen, Kapitalanlagesphären und Reservoire billiger Arbeitskräfte verbunden. Der Imperialismus zerstört die vorkapitalistischen Produktionsformen und bewirkt damit ein beschleunigtes Anwachsen der kapitalistischen Verhältnisse; zugleich aber lässt er nur eine solche Entwicklung der Wirtschaft in den Kolonien und abhängigen Ländern zu, bei der diese nicht zu wirtschaftlicher Selbständigkeit und Unabhängigkeit gelangen können. Kolonien und abhängige Länder sind Agrar- und Rohstoffanhängsel sowie Billiglohnzonen der Metropolen.

2. Für das Kolonialsystem des Imperialismus ist die Verflechtung der kapitalistischen Ausbeutung und Ausplünderung mit verschiedenartigen Überresten der feudalen, ja sogar der auf Sklaverei beruhenden Unterdrückung kennzeichnend.

3. Die Verstärkung der kolonialen Ausbeutung und Unterdrückung ruft unvermeidlich den Widerstand der breitesten Volksmassen in den kolonialen und abhängigen Ländern hervor. Die nationale Befreiungsbewegung der unterdrückten Völker bezieht die gewaltige Mehrheit der Bevölkerung des Erdballs in den Kampf gegen den Imperialismus ein, erschüttert die Grundpfeiler des Imperialismus und bereitet dessen Untergang vor.